Aufführung

Sonntag, 17. März 2024, um 15 Uhr
Basilika Kaiserswerth, Suitbertus-Stiftsplatz

 

Jesus-Passion

 

Drei oratorische Szenen
nach Texten der Heiligen Schrift,
des Talmud und jüdischer Lyrik
des 20. Jahrhunderts
für 6 Soli, gemischten Chor,
Kinderchor und großes Orchester

von Oskar Gottlieb Blarr (*1934)

Foto: ©Gregor Guski

Das Anliegen

Das Anliegen der  Jesus-Passion des bedeutenden zeitgenössischen Düsseldorfer Komponisten Oskar Gottlieb Blarr, der im Jahr 2024 neunzig Jahre alt wird,  ist die Befriedung und Versöhnung zwischen Juden und (deutschen) Christen mit musikalischen Mitteln. Der Jude Jesus, sein Passionsweg sowie seine Wirkung und Bedeutung bis heute werden aus jüdischer und christlicher Sicht dargestellt. Dies geschieht in drei oratorischen Szenen voller Dramatik und Emotionen. Blarrs neuartige Passion ist vorwiegend in hebräischer Sprache komponiert, sie verarbeitet Texte aus der Heiligen Schrift, des Talmud und jüdischer Lyrik des 20. Jahrhunderts.

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Einführung in die Jesus Passion von Oskar Gottlieb Blarr

Programmheft

 

Der Ausgangspunkt des Werkes liegt darin, dass in den vergangenen fast 2000 Jahren auch die Kirche eine Rolle bei der Verbreitung des Antisemitismus gespielt hat. Der Komponist selbst nennt als Beispiel den Evangelisten Matthäus, dessen Passionsbericht eine antijudaistische Tendenz aufweist, indem der Evangelist die Juden insgesamt für den Tod Jesu verantwortlich macht und nicht – wie es historisch korrekt wäre – die mit den römischen Besatzungstruppen kooperierende sadduzäische Tempelhierarchie. Die Diskriminierungen, Vertreibungen und Morde an den Juden über viele Jahrhunderte werden, folgt man Blarr, theologisch durch die bedeutsame Autorität des Evangelisten Matthäus gerechtfertigt. Die Selbstverfluchung der Juden, die gerade in Bachs Matthäuspassion so einprägsam energisch vertont wurde („Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ mit den Versen aus Matthäus 27,25) hat tatsächlich einen gewissen Einfluss in der christlichen Kirche und unserer Gesellschaft gehabt, der zum Teil bis heute wirksam ist.

Der Komponist hat sich in einen mehrjährigen kreativen Prozess begeben, um die Leidensgeschichte Jesu auf eine Weise zu vertonen, die dem näher kommt, was der Jude Jesus für alle Menschen bedeutet hat und bedeuten kann. Er hat mit seiner Jesus-Passion, die am 7. Juni 1985 auf dem 21. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf uraufgeführt wurde, eine Passionsgeschichte ohne Antijudaismus komponiert, die sich „als Beitrag zum Befriedungs- und Versöhnungsprozess zwischen Juden und (deutschen) Christen“ (so Blarr) versteht.

Zur Komposition

Die Komposition lebt von interkulturellen Akzenten und Verbindungen. So werden z.B. die musikalischen Klänge der jemenitischen und samaritanischen Synagogalmusik, die sich über 2000 Jahre hinweg kaum verändert haben, zur bedeutsamen Quelle der musikalischen Gestaltung. Für die Komposition bedeutend ist ein von Blarr entwickeltes Maqam, ein Modus, der sein Vorbild in der orientalischen arabisch-islamischen Musiksprache hat.  Die vorherrschende Sprache der Texte ist die Sprache Jesu, also hebräisch bzw. aramäisch. Zudem werden zwei deutschsprachige, aus der christlichen Tradition stammende Gesänge aus dem 16. Jahrhundert eingeflochten, unter ihnen das alte Adventslied „Aus großem Weh die Menschheit klagt“, welches das Sehnen aller Menschen nach Frieden und Erlösung besingt.

An mehreren Stellen innerhalb der Komposition werden die Zeiten „vermischt“, sodass die Bedeutung des Leidensweges Jesu auch für unsere Zeit betont wird. Hier ist zunächst das hebräische  „Schnee“-Gedicht („Schäläg“)des zeitgenössischen israelischen Dichters Pinchas Sadeh zu nennen, das den Kreuzweg Jesu beschreibt, indem der ganze Weg Jesu mit Schnee bedeckt ist. Schnee als Symbol für eisige Kälte, Katastrophe, Härte und eine farblose, fahle Atmosspäre. Jesu Weg führt auch über Plätze des heutigen Jerusalems wie arabische Viertel und die Auferstehungskirche und den Tempelberg. Jesus wird vor allem durch die für ihn sorgenden Frauen begleitet.

Einen berührenden Höhepunkt bildet die Vertonung des „Requiem“ überschriebenen Textes des in Düsseldorf verstorbenen jüdischen Schriftstellers Alfred Kittner (1906-1991). Der ergreifende Text, in dem es um das entsetzliche Sterben der Juden im Konzentrationslager geht und der Kittners eigene Erfahrungen an diesem Ort der Vernichtung beschreibt, versteht die Hinweise auf die größte Einsamkeit des Juden Jesus am Kreuz als Erinnerung an die Stunden äußerster Einsamkeit von Jesu Brüdern und Schwestern im Holocaust. Hier werden mithin die Zeiten zusammengeführt und wird die Geschichte Jesu auf die Gegenwart des 20. Jahrhunderts bezogen. Blarr betont, dass „der Hintergrund dieser Leidensgeschichte des Volkes Israel das Leiden Jesu auf ganz neue Weise konkretisiert und die Beziehung zwischen dem, was vor 2000 Jahren war, und dem, was jetzt passiert ist, so eine bittere und Aktualität hat, die ja in keiner Weise aufgearbeitet und verdaut ist.“ Was der Komponist zur Zeit der Entstehung des Werkes, formuliert, scheint leider auch für die heutige Zeit zu gelten.

Am Ende bietet dieses Werk  Worte der Hoffnung und des Vertrauens, die auf die Auferstehung deuten und auf Texten des Propheten Hosea aus der jüdischen Bibel stammen. Es schließt mit dem aramäischen Wort „Jeschuati“ („meine Hilfe“) aus dem 62. Psalm und setzt noch das Wort „Jeschuah“ hinzu, also den Namen Jesus.

Jesus, der sicherlich keine Trennung der Religionen im Sinn hatte, wird in Blarrs Komposition als Hoffnungsträger gegen Unrecht und Gewalt sowie als Bruder der Schwachen und Unterdrückten dargestellt. Das Besondere ist, dass die Jesuspassion zugleich ein inniges christliches Bekenntnis zu Jesus, dem Messias ist. Das wird vor allem am Ende der Gethsemane-Szene durch das Zitat des sechsstimmigen Chorsatzes „Im Garten leidet Christus Not“ des Königsberger Domkapellmeister Johann Eccard deutlich. Ausgestaltet mit einer starken Orchestrierung und begleitet von Improvisationen auf zwei Glockenspielen, die den Eindruck hervorrufen, als würden alle Kirchenglocken der Welt gleichzeitig läuten, singen alle Chorgruppen gemeinsam die glaubensvolle Erkenntnis „Siehe, das ist Gottes Lamm, aller Welt Sünd macht ihm bang“.

Auch heute – fast 40 Jahre nach der Uraufführung – ist die Aufführung dieser musikalisch sehr aufwendigen Komposition ein herausfordernder kultureller Beitrag, um in unserer Kirche und Gesellschaft den Abbau von antisemitischen Vorurteilen und Intoleranz zwischen den Religionen zu unterstützen.

Diesen Zielen sind wir mit unserer geplanten Aufführung am 17.  März 2024 verpflichtet, einer Aufführung, die auch durch die Aufführung in der wunderbaren katholischen Basilika Kaiserswerth und der gemeinsamen ökumenischen Gestaltung durch die evangelischen Kantorei Kaiserswerth und ihrer Kinder- und Jugendkantorei und dem katholischen Bailikachor eine besondere Bedeutung erhält.

Ausführende

Sabine Schneider, Sopran I
Andrea Graff, Sopran II
Pauline Asmuth, Alt
Christian Dietz, Tenor
Stefan Adam, Bass I (Jesus)
Joel Urch, Bass II

Kantorei Kaiserswerth
Kinder- und Jugendkantorei Kasierswerth
Basilikachor Kaiserswerth
Choreinstudierung: Susanne Hiekel und Stefan Oechsle
Kaiserswerther Camerata instrumentale
Leitung: KMD Susanne Hiekel

Rheinsche Post Düsseldorf

Photo: Michael Zerban

O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter schreibt:

 

Musizierte Versöhnung

Atemlose Stille am Ende. Ein ergreifender Moment in einer an bewegenden Momenten reichen Aufführung. Es ist Susanne Hiekel am Pult, die das Schweigen nach einer gefühlten Ewigkeitsminute bricht und den Beifall in der vollbesetzten St.-Suitbertus-Basilika auslöst. Eine Aufführung ganz aus dem Herzen musiziert. Eine, für die sich Kantorei Kaiserswerth mit Kinder- und Jugendchor sowie Basilika-Chor Kaisers werth unter seinem Leiter Stefan Oechsle zusammengetan haben. Ein schönes Zeichen. Ein notwendiges Zeichen. Tatsächlich stehen katholische wie evangelische Kirchen ja gleichermaßen in der Verantwortung, wenn es um die Rücknahme geht von Übergriffigkeiten der christlichen Kirchen und Theologie, mit denen sie die jüdische Religion ebensowohl vereinnahmt wie entwertet haben. Eine Schuld geschichte. Gut und gern zweitausend Jahre hat sie für permanente Pogromstimmung gesorgt. Die absurden Vorwürfe von Christen in Richtung Juden sind Legion. Im Zentrum ein megalomanischer „Gottesmord“-Vorwurf. Er hat für allergrößtes Unheil gesorgt.

Ist das alles Vergangenheit? – Richtig ist: Im Schatten der Shoah hat sich das christliche Gewissen gemeldet. 1956 revidiert Papst Johannes die jahrhundertealte Karfreitagsbitte der katholischen Messliturgie, ein, bezeichnenderweise ohne Kniebeugung auszuführendes Fürbittengebet pro perfidia judaica, für die „Verstocktheit der Juden“. Und auf evangelischer Seite? Dauerte es bis in die 1980-er Jahre. Erst dann werden Judenmission und Substitutions theologie fallengelassen. Letztere meint den Anspruch einer protestantischen Theologie, wonach durch den Christus-Glauben der jüdische Glaube angeblich obsolet geworden sei. Ein Antijudaismus, den eine lutherische Orthodoxie zum Dogma erhoben hat und von dem heute noch jede Aufführung einer Bach-Passion schmerzlich Zeugnis ablegt, die beteiligten Choristen, Musiker wie das Publikum in allergrößte Gewissensnöte bringt. Man liebt ja die Musik und erschrickt sich zugleich vor den Worten, der Dramaturgie.

Eine Situation, in der Oskar-Gottlieb Blarr zu Beginn der 1980-er Jahre die einzig richtige Entscheidung fällt.
Ermuntert von seinem Kompositionslehrer Milko Kelemen – „Lass das den Rilling machen! Schreib Deine Passion!“ – macht sich Blarr, angeregt durch einen ersten Israel-Aufenthalt, an die Komposition einer Passion nicht mehr nach den Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas, Johannes, sondern „nach Texten der Heiligen Schrift, des Talmud und jüdischer Lyrik des 20. Jahrhunderts“. Als solche wird die Jesus-Passion im Juni 1985 in der Düsseldorfer Neanderkirche uraufgeführt, erlebt bis heute zahlreiche weitere Aufführungen. Jetzt auch in Kaiserswerth.

Eine Riesenanstrengung! Zu musizieren sind drei große oratorische Szenen. Zusammen einhundert Minuten Musik. Großer gemischter Chor, Kinderchor, großes Orchester in Gestalt der Kaisers werther Camerata instrumentale sowie sechs Solisten, die beiden Soprane Sabine Schneider und Andrea Graff, die junge Altistin Pauline Asmuth, Tenor Christian Dietz und ein in Joel Urch und Stefan Adam geteilter Bass. Der Altarraum von St. Suitbertus ist voll. Personalintensiver könnte es kaum zugehen. Man spürt: Das zu stemmen, ist alles andere als ein Kinderspiel, auch wenn gerade Kindern als Aus führenden eine wichtige Rolle zukommt. Denn zum Mut, den Blarr mit dieser, wie er sagt „ersten nicht-antijudaistischen Passionskomposition“ gezeigt hat, kommt seine Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, wenn er seine frühesten Frömmigkeitserfahrungen im Elternhaus in Ostpreußen ganz selbstverständlich einwandern lässt in die Partitur. Im zweiten Teil, der Gethsemane-Szene, singt der Chor einen alten ostpreußischen Liedsatz: Im Garten leidet Christus Not. Apropos. Nicht nur an seine Ausführenden stellt Blarr Ansprüche, auch an seine Hörer. Lediglich der Chorsatz sowie zwei andere Stücke werden auf Deutsch gesungen; alles Übrige auf Hebräisch, was dem Programmheft in diesem Fall eine prominente Rolle zuweist. Man hat sich die Mühe gemacht, die Lautumschriften einzurücken. Tatsächlich nur so, mitlesend, lässt sich der Überblick behalten.

Allerdings, auch in dieser auskomponierten Verbeugung vor dem jüdischen Erbe gibt es durchaus Passagen, die aus sich selbst verstehbar sind, ja, deren originaler Wortlaut aus den Evangelien des Matthäus und Markus geläufig ist. Nur, dass sie hier vom Kontext befreit sind, ganz für sich stehen. Worte aus dem Psalter, aus der Tora. Eine solche Stelle, erschütternd in ihrer Kargheit, begegnet im dritten Teil, der auch bei Blarr noch Kreuzigung heißt, obgleich Pilatus und Rom hier gar nicht mehr vorkommen. Sie sind unterstellt, müssen unterstellt sein, weil der Tod am Kreuz eine römische, keine jüdische Hinrichtungsart gewesen ist. Bassist Stefan Adam, der meistbeschäftigte Solist an diesem Nachmittag, macht seine Sache ganz großartig, agiert ohne störende Deklamation, ganz aus dem Innern heraus. Zunächst den Von-Gott-Verlassensein-Ruf „Eli, Eli, lama asabtani“, von Blarr verkürzt zu „Eli, Eli, lama“, „Mein Gott, mein Gott, warum?“ Und im nächsten Moment kommt dann das „Sch’ma Jisrael“, „Höre, Israel“ aus dem 5. Buch Mose, eine begründete Invention von Blarr, der man von Herzen zustimmen möchte. Am Ende steht das Bekenntnis. Das begleitende Blech wird tonlos. Der Atem entweicht. Ein Aushauchen. Bewegend, eindrucksvoll musiziert an dieser Stelle wie an allen anderen.

Georg Beck

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Dienstag, 19. März 2024, Rheinsche Post Düsseldorf